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Das Institut

Forschung und Wissenstransfer

Das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte ist eine wissenschaftliche Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Wir betreiben moderne Regionalgeschichtsforschung mit dem Schwerpunkt auf der Neueren Geschichte und Zeitgeschichte. Mit dieser Ausrichtung ist unser Institut eine Besonderheit: Wir sind die einzige Einrichtung, die sich in kommunaler Trägerschaft der Erforschung des 19., 20. und 21. Jahrhunderts widmet.

Die Referent:innen erforschen die Sozial-, Politik-, Wirtschafts-, Geschlechter- und Kulturgeschichte Westfalens und darüber hinaus. In Vergleichsstudien werden zum einen Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb dieser Region untersucht, zum anderen die Verhältnisse Westfalens den Entwicklungen anderer Regionen, auf nationaler und internationaler Ebene gegenübergestellt. Mit dem Fokus auf der Zeit vom 19. Jahrhundert bis heute spüren wir der Problemgeschichte der Gegenwart nach. Unsere Forschungsprojekte leisten damit auch einen Beitrag zur Versachlichung aktueller Debatten. Sie werden auf regelmäßigen Vortragsveranstaltungen, Workshops und Tagungen sowie online präsentiert. Mit zwei Buchreihen und der Zeitschrift „Westfälische Forschungen“ bieten wir Publikationen sowohl für die Scientific Community als auch für die interessierte Öffentlichkeit.

Neben unserer eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit fördern wir externe Arbeiten durch die Initiierung neuer Forschungsprojekte. Außerdem bildet das Institut wissenschaftliche Volontär:innen aus. Um die wissenschaftliche Diskussion zu fördern und eigene Forschungsergebnisse zu präsentieren, stehen wir in einem engen Austausch mit Universitäten und außeruniversitären wissenschaftlichen Einrichtungen. Mit diesen Partnern werden gemeinsame Fachtagungen und Forschungsprojekte initiiert.  

LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte Foto: LWL/Nolte

Die Forschungsschwerpunkte

Referat „Arbeitergeschichte“

Bearbeiter: Dr. Matthias Frese

Das Referat beschäftigt sich erstens mit dem Wandel von Arbeit und Arbeitswelten in verschiedenen Branchen im regionalen Vergleich. Dabei erfolgt der Zugang zum einen über mikropolitische Studien, mit denen die innerbetrieblichen Veränderungen der Belegschaften, das Verhältnis von technologischer Entwicklung, Betriebsorganisation und innerbetrieblichen Herrschaftsstrukturen, die Organisierung von Interessen und die Konfliktaustragungen sowie die Einwirkungen der Organisationen von Beschäftigten und Arbeitgebern untersucht werden. Zum anderen werden einzelne Interessenverbände, deren interne Strukturen, Interessensfindung, Zielsetzungen und Vorgehen gegenüber politischen Instanzen und Kontrahenten analysiert.

Ein zweiter Schwerpunkt bildet die Entwicklung und Nutzung von „freier Zeit“ außerhalb der Erwerbsarbeit, der Versorgung des täglichen Bedarfs sowie von ‚Sorge-Arbeit‘ in der Familie. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach Angeboten und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung im Rahmen regelmäßiger Feste und Unterhaltungsangebote, im organisierten Rahmen des sich entfaltenden Vereinswesens sowie im kommerzialisierten Kontext der modernen Konsumgesellschaft. Als Sonderform der Freizeitgestaltung wird eingehend die Entwicklung des Urlaubs und Tourismus behandelt. Hier liegt der Fokus auf westfälischen und rheinländischen Teilregionen als Reisezielen, die zumindest noch bis in die 1970er-Jahre als Urlaubsorte der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen und danach bevorzugt zur Naherholung und für Kurzurlaube dienten.

Bei allen Themen werden Entwicklungen im Zeitraum seit der industriellen Moderne in den Blick genommen. Einzelne Schwerpunkte liegen auf den Jahren der NS-Zeit und der Bundesrepublik.

Referat „Frauen- und Geschlechtergeschichte“

Bearbeiterin: Dr. Julia Paulus

Ebenso wie der ‚Raum‘ bildet auch das ‚Geschlecht‘ eine wesentliche Orientierungskategorie, mit und in der wir leben und handeln und die uns allseits präsent ist. Denn die Zuordnung zu einem spezifischen ‚Geschlecht‘, so ließe sich formulieren, schafft spezifische ‚Räume‘, wie aber auch ‚Räume‘ die Grenzen und Möglichkeiten von ‚Geschlechtern‘ konstituieren.

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten galt zum Beispiel der ‚öffentliche (politische) Raum‘ als selbstverständliche Sphäre von Männlichkeit und der privat genutzte Raum als das ‚Reich der Weiblichkeit‘. Heutzutage markieren oftmals nur noch Bedürfnisanstalten oder Umziehkabinen in Turnhallen und Schwimmbädern die Benutzenden als vermeintlich eindeutig männlich oder weiblich. Gleichwohl führen auch heute noch Überschreitungen von Räumen, insbesondere in geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitswelten, zu Irritationen bis hin zu Denunziationen und Ausschlüssen.

Inwieweit Räume beziehungsweise Städte und Regionen im 19. und 20. Jahrhundert derart „ge-gendert“ waren, welche unterschiedlichen Bezüge und Erfahrungen Frauen und Männer mit einer Region hatten, welche spezifischen Zugangschancen, Hindernisse und Frei-‚Räume‘ von Männern und Frauen wahrgenommen wurden, wie das Wechselverhältnis zwischen den Handelnden und den Strukturen aussah sowie die Möglichkeiten der Subjekte, diese Strukturen und Räume zu gestalten und verändern zu können, steht im Mittelpunkt von Arbeiten aus diesem Forschungsschwerpunkt, der sich konkret mit Themen befasst wie den geschlechterpolitischen Aufbrüchen in der Weimarer Republik, der Geschlechtergemeinschaft im Nationalsozialismus, den Berufsausbildungs- und Berufsverläufen von Frauen und Männern oder den geschlechterdemokratischen Ansprüchen der Neuen Sozialen Bewegungen.

Referat „Internet-Portal ‚Westfälische Geschichte‘“

Bearbeiter: Dr. Marcus Weidner

Das Internet hat sich in den vergangenen Jahren als ein wichtiges Präsentations- und Forschungsinstrument auch im historischen und kulturhistorischen Bereich etabliert. Zahlreiche Institutionen, die im regional- und landesgeschichtlichen oder landeskundlichen Bereich in Deutschland tätig sind, bieten inzwischen zentrale Einstiegsseiten und spezielle Informationsangebote in Form von Internet-Portalen zu ihrem Themengebiet an. Mit dieser Erweiterung ihrer bisherigen Serviceleistungen werden die Einrichtungen mit vielfältigen Querschnittaufgaben konfrontiert, die in der Regel für sie neue Arbeitsgebiete darstellen.

Das Referat befasst sich mit der Bereitstellung von Webangeboten zur westfälisch-lippischen Geschichte. Zentrales Produkt ist das Internet-Portal „Westfälische Geschichte“, das sich seit seiner Freischaltung 2004 zu einem wichtigen landeskundlichen und regionalgeschichtlichen Webangebot entwickelt. Konzipiert als themenspezifischer Informationsserver, stellt das Portal vielfältige Service- und Informationsangebote zur Verfügung. Das Portal richtet sich sowohl an die historisch interessierte Öffentlichkeit als auch an Forschende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kultureinrichtungen. Ziel ist die inhaltliche und qualitative Weiterentwicklung des Portals, zum Beispiel durch den Relaunch des Webangebots und die Ergänzung eines speziellen Bereichs zur NS-Geschichte Westfalens und Lippes. Das Referat betreut zudem die E-Mailing-Liste „Westfälische Geschichte“, die seit 2003 werktäglich Informationen zu allen Aspekten der regionalen Geschichte per E-Mail verteilt.

Seit 2007 ist Marcus Weidner auch Geschäftsführer der von ihm initiierten „AG Regionalportale“, einer Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Angebote zur Landeskunde und Regionalgeschichte, die inzwischen mehr als 50 institutionelle Mitglieder in fünf europäischen Ländern zählt.

Referat „Neuere und Neueste Geschichte“

Bearbeiterin: PD Dr. Claudia Kemper

In diesem Forschungsfeld stehen Veränderungen politischer Partizipationsprozesse und die Organisation von Mitsprache in gegenwärtigen Demokratien, insbesondere Deutschlands, im Mittelpunkt. Die Neueste Geschichte umfasst das gesamte 20. Jahrhundert, aber konzentriert sich besonders auf seine zweite Hälfte unter Berücksichtigung der NS-Zeit, ihrer „zweiten Geschichte“ und erinnerungskulturellen Verarbeitung. Die leitende Fragestellung im Forschungsfeld knüpft an aktuelle Debatten an, die um den Wandel demokratischer Verfasstheit, Agenda-Setting und Willensbildung kreisen, wobei eine zunehmende Polarisierung und Feindseligkeit beim politischen Meinungsstreit oder von Protesten beobachtet wird.

Proteste und Protestbewegungen sind unter anderem ergiebige Phänomene, um gesellschaftliche Konflikte um Teilhabe und Mitsprache auf unterschiedlichen Ebenen und in ihren Wechselwirkungen, etwa zwischen internationaler, nationaler und regionaler Ebene nachvollziehen zu können. Am Beispiel städtischer und ländlicher Kontexte Nordrhein-Westfalens und insbesondere Westfalens seit den 1970er-Jahren soll der Formwandel von Protesten mit Veränderungen in Wirtschaft, Sozialleben und Politik in Verbindung gebracht und problematisiert wird. Auf diese Weise wird auch nach dem Wechselverhältnis von Globalisierungsphänomenen und lokalen Aushandlungsprozessen gefragt oder danach, welche sozialen Ein- und Ausschlüsse wirksam wurden, welche Sichtbarkeiten griffen oder welche Gruppen, Themen und Verfahren entweder marginalisiert wurden oder sich hegemonial durchsetzen konnten.

Der Schwerpunkt des Forschungsfelds liegt erstens auf Protestereignissen und die Organisation von politischer Mitsprache im gesellschaftlichen Rahmen und zweitens auf Praktiken von Streit- und Konfliktbearbeitung in politischen Institutionen, Verwaltungen und Körperschaften.

Referat „Wirtschafts- und Sozialgeschichte“

Bearbeiter: Dr. Jens Gründler

In diesem Forschungsfeld wird eine theoriegeleitete Wirtschafts- und Sozialgeschichte verfolgt, die das 19. und 20. Jahrhundert in den Blick nimmt. Die Epoche der industriellen Revolution mit ihren zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen ist ein Schwerpunkt. Aktuell steht jedoch der Zeitraum „nach dem Boom“ (Doering-Manteuffel/Raphael) im Fokus. Untersucht werden Phänomene, die seit den 1970er-Jahren zu beobachten sind: Veränderungen der Arbeitswelten, zunehmende Mobilität, die Pluralisierung von Lebensstilen oder die Ambivalenzen der Liberalisierung des Gesundheitssektors. Ein zentraler Aspekt ist die Einbindung der disparaten regionalen in nationale und transnationale Entwicklungen.

Konkret wird gefragt, inwieweit westfälische Kommunen und Regionen diese Veränderungen erfuhren, welche Gestaltungsspielräume die Akteurinnen und Akteure hatten, wie sich die ‚Globalisierung‘ in Westfalen niederschlug, wie die Gesellschaft auf die Herausforderungen des Umbruchs von Kohlebergbau und Stahl-, aber auch Textilindustrie reagiert oder wie sich Mobilität und Migration in Westfalen auswirkten. Die Forschungen im Themenbereich gruppieren sich im Moment um drei Schwerpunkte: Untersuchungen zur (Zeit-)Geschichte der Migration im ländlichen Raum, Arbeiten zu Gehörlosigkeit und Blindheit im Westfalen des 20. Jahrhunderts sowie zu den Ambivalenzen der ‚Ambulantisierung‘ der Psychiatrie in historischer Perspektive.